Das „Schindelwrack”

vor Berg im Starnberger See ist seit Jahren ein beliebtes Ziel vieler Taucher. Erstmalig bekannt wurde es durch die Entnahme der Bugschnecke, in den 1964er Jahren, durch eine Tauchergemeinschaft aus München.

Im Folgenden geriet das Bootswrack wieder in Vergessenheit und wurde von mir, erstmals Ende 1998 betaucht und fotografiert. 2001 stießen Mitglieder der BGfU auf das Wrack und dokumentierten dies erstmalig.

2012 kam erstmalig die Idee auf die 3D Technik zur Dokumentation unter Wasser zu nutzen, nach erstem Einarbeiten in die Technik ging es auf die Suche nach einem "kleinen Übungsobjekt". Wegen der leichten Erreichbarkeit und moderaten Tiefe habe ich das "Schindelwrack" gewählt um die Technik zu lernen und auszuprobieren. Was im Folgenden daraus geworden ist hätte ich ganz zu Anfang niemals gedacht.

1. Allgemeines

Seit Dezember 2014 findet eine jährliche Fotodokumentation des Bootes statt, um Veränderungen zu dokumentieren. Hauptsächlich wird diese durch Bildaufnahmen und 3D-Rekonstruktionen berührungslos erstellt, damit der fragile Bootskörper nicht zusätzlich belastet wird. Darüber hinaus ist die Technik hervorragend geeignet, um das „unter Wasser Dokumentierte“ auch über Wasser anschaulich und publikumswirksam zu vermitteln.

Das Boot liegt in ca. 40 m Wassertiefe mit einer Ausrichtung von 157 Grad auf ebenem Kiel vor Berg. Es misst 5,65 m in der Länge und 1,45 m in der Breite. Die Schrauben, welche die Planken mit den Spanten verbinden, sind mit 3cm mal 3cm großen rechteckigen Muttern gekontert.

Im Bootsinneren befindet sich die Ladung aus Schieferschindeln noch sauber aufgestapelt, was einen schnellen, waagerechten Untergang des Bootes durch die damals übliche Überfrachtung – bis die Bordwand nur knapp eine Handbreit über dem Wasserspiegel lag – vermuten lässt.

Über den Zeitpunkt des Untergangs existieren derzeit allein die Aussage eines Fischers der den Untergang "um 1910" angibt.

Auch über den Eigner des Bootes gibt es keine gesicherten Angaben. Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich um Georg Böck (1862-1921), den „Fischermichl von Ammerland“, der zu dieser Zeit einer der, wenn nicht der größte, Transportunternehmer am Starnberger See war. Ob die Unglücksfahrt vom Bootseigner oder einem seiner Angestellten durchgeführt wurde, oder ob der Kahn vermietet war – auch dies war damals üblich – und vom Mieter selbst beladen und gefahren wurde, kann nicht belegt werden.

 

2. Die Bugschnecke

Die Bugschnecke des Bootes ist eine zum damaligen Zeitpunkt oft gesehene Bugzier in Form einer Geigenschnecke. In nach oben gedrehter Form war sie auch bei den Begleitbooten des Bucentaur zu finden.
Nicht nur kleinere Boote, auch große Transportboote wurden mit dieser Bugzier versehen.
Während diese im 19. Jahrhundert noch stark verbreitet war, fand man sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur noch vereinzelt vor. Heutzutage ist sie nur noch auf alten Fotografien und Bildern zeitgenössischer Maler, wie auf dem Gemälde „Banzenstechen“ des Malers Wörsching aus dem Jahre 1878, ausgestellt im Museum Starnberger See, zu sehen.

Die Bugzier des Schindelwracks ist ca. 40 cm hoch und besteht aus einem Eichenholz. Allerdings ist sie nicht aus einem Stück geschnitzt, sondern besteht aus einem Eichenkern, der mit geschnitzten Leisten besetzt ist, die den Eindruck einer aus einem Stück Holz geschnitzten Schnecke hervorrufen. In ihrem Kopf befindet sich eine Bohrung mit einem Durchmesser von ca. 3 cm, die wohl zur Aufnahme eines Flaggenstocks vorgesehen war.

Die Taucher die um 1964 die Bugschnecke geborgen hatten, sorgten für eine provisorische Konservierung, die den Zustand der Bugschnecke jedoch nicht vollständig sicherte. Die endgültige Konservierung des Stückes wurde in den 1970er Jahren durch die Prähistorische Staatssammlung veranlasst, bei der auch lose Stücke wieder befestigt wurden. Die Bugschnecke gelangte dann über den „Förderverein Südbayerisches Schiffahrtsmuseum“ ins Museum Starnberger See.

Mittels der 3D Rekonstruktion konnte die Bugschnecke aus dem Museum, das in dessen Fundus sich einige weitere Bugschnecken befinden, eindeutig dem gesunkenen Boot zugeordnet werden.

 

 

2. Die Ladung

Im Februar 2016 wurden drei Schindeln aus der Ladung zur näheren Untersuchung geborgen.
Sie sind Sie weisen die typische Form der englischen Rechteckdeckung auf, sind 22cm breit und 29,5cm hoch, circa 4mm dick und rund 550-600 Gramm schwer. Anhand der groben Bruchkanten kann man erkennen, dass diese von Hand geschlagen wurden.
Diese Art Schindeln kann zum Decken von Dächern, wie auch als Fassadenverkleidung benutzt werden.
Nach einem Besuch des Schiefermuseums Ludwigstatt stellte sich sehr schnell heraus das die Schindeln sicher nicht aus Deutschland stammen, da es in Deutschland keine Vorkommen dieses Schiefers gibt.

Die Schindeln bestehen aus violettem, sehr hartem Schiefer wie er im Kambrium entstanden ist. Bekannte Bezugsquellen für kambrischen Schiefer sind das französische Anger oder die walisische Gegend um Penrhyn.
Über die Preisliste der Gebrüder Rother aus Frankfurt, einem Schiefer Großhändler in Deutschland der unter anderem mit walisischem Schiefer handelt, konnte diese Vermutung bestätigt werden.
Dass die Gebrüder Rother Schiefer an den Starnberger See geliefert haben zeigt sich in Attesten die in den Preislisten abgebildet sind. Es attestiert zum Beispiel der Schieferdeckermeister Rudolf Haaß aus Starnberg am 22. März 1887:
„Der Unterzeichnete bezeugt hierdurch, daß er seit vielen Jahren die blauen Schiefer aus den Rimogner Gruben von Herrn Gebrüder Rother in Frankfurt a. M. bezog und bei zahlreichen Neubauten verwendet und das sich dieses Material als ein durchaus vorzügliches nach allen Richtungen bewährt hat.“.
Aufgrund der Härte, Farbe und Einschlüsse (Glorite) des Materials besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit für Wales, die Gegend um Penrhyn, als für die Gegend um Anger.
Nach in Augenscheinnahme der Schindel durch den Museumsleiter des „National Slate Museum Wales“ Prof. Dr. Dafydd Roberts, Dr. David Gwyn, Autor des Buches "Welsh Slate" und Jon Jones, seit 35 Jahren Schindelmacher hat sich herausgestellt das der Schiefer mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit aus Wales stammt.

In Frage kommen vier Schiefergruben, hier in der Reihenfolge der Wahrscheinlichkeit wiedergegeben, Dinorwig seit 1787 in Betrieb, Penrhyn seit 1770 das weltgrößte Schieferabbaugebiet, Pen-y-Orsedd seit 1862 und Dorothea seit 1820.
Eigene Begehungen der Schiefergruben zeigten das sich die Farbe des Schiefers leicht verändert je weiter man sich von Dinorwig Richtung Westen bewegt. Auch die Einschlüsse (Glorite) verändern sich.

Eine Vergleichsschindel die in der Show-Werkstatt des „National Slate Museum Wales“ aus Material des Dinorwig Steinbruchs gefertigt wurde ist nicht von einer aus dem See geborgenen zu unterscheiden.

Die fertigen Schindeln wurden dann vom Abbaugebiet mit der, eigens für den Schiefertransport gebauten, Eisenbahn nach Bangor in den Hafen verbracht, von dort aus wurden sie mit dem Seeweg nach Hamburg oder Lübeck verschifft und weiter mit der Eisenbahn an den Starnberger See. Als Verladestationen kamen Starnberg (1856), Possenhofen (1864), Feldafing (1864) oder Tutzing (1864) in Frage.
Der walisische Schieferhandel hatte seinen Höhepunkt 1889, Hauptabnehmer des Schiefers war mit 41547 Tonnen Deutschland. Zum Vergleich der nächste Abnehmer, Australien war mit nur 5444 Tonnen verzeichnet.
Auf einem Rundgang durch das National Slate Museum konnten Schieferplatten in genau der Farbe, Form und Abmessung aufgefunden werden, ein Schieferstein mit der Aufschrift 1881 stützt die Platten, ein anderer liegt oben auf.

 

3. Zustand des Wracks heute

Leider zeigt sich das sich der Erhaltungszustand des Wracks stark verschlechtert. Der Verfall war zu erst an abgefallenen Seitenleisten zu erkennen die sich 1998 noch am Bootskörper befunden hatten. Nun zeigt sich eine jährlich stärkere vom Bug aus beginnende Dissolution Richtung Heck. Da sich der Bug des Bootes nicht im schützenden Sediment befindet und auch das Heck nur maximal bis zur Hälfte der Bootskörperhöhe im Sediment eingesunken ist, ist hier kaum stützendes Material vorhanden. Die gewaltsame Entnahme der Bugschnecke und "Verschönerungsmaßnahmen" von Tauchern tat ihr übriges um den Bootskörper zu destabilisieren. Der goldfarben angemalte Stein, den jemand mitgebracht haben musste, befand sich 2006 eingekeilt zwischen der Back und Steuerbordwand am Bug. Er wurde 2007 durch einen Schwimmring ersetzt. Jetzt ist die Backbordwand aufgerissen und ein Seil klemmte zwischen den Planken der Bordwand. Auch deses wurde in den fogenden Jahren gewaltsam entfernt.


Eine Seitenleiste, die bis 2011 noch an der Steuerbordseite befestigt war, liegt heute neben dem Bootskörper (siehe 3D Modell).

Es ist zu befürchten das der Bootskörper in den nächsten Jahren auseinanderbrechen wird und ein Zeitzeugnis über die Transportwege am Starnberger See verschwinden wird.
Auch das Herausziehen von Schindeln durch Taucher verändert das Druckgefüge im Boot und destabilisiert es zusätzlich.

Bitte denkt daran, das Schindelwrack ist ein Denkmal. Sorgt doch dafür, dass auch in ein paar Jahren noch etwas mehr als ein paar Bretter und vereinzelte Schindeln davon übrig sind und das Boot so gut wie möglich erhalten bleibt.

Das erste 3D Modell

Einfach mal mit rechter und linker Maustaste, sowie dem Mausrad spielen.

Die dazugehörige Bugschnecke

 

Hier noch eine Auswahl an Bildern, die das Wrack vor ein paar Jahren zeigen:


2006

2007

2008

2010

2011